Mittwoch, Oktober 12, 2005

In einer kleinen Stadt - Teil 1

Irgendein Tag in irgendeinem Rathaus eines kleinen Städtchens. Planerin S. sitzt vor ihrem Computer und blättert durch interne Internetseiten der Landesregierung. Nervös klickt sie mit der Maus durch die Menüstruktur. Endlich hat sie den Link gefunden. Beherzt klickt sie auf "Fördermittel". Eine Art Katalog öffnet sich vor ihren Augen. Sie setzt sich aufrecht. Sieht sich um. Verdammt, kein Publikum anwesend. Verärgert greift sie sich das Telefon, tippt blind die Nummer, während ihre Augen den Katalog schon einmal absuchen.

"B." meldet sich lapidar eine typische Beamtenstimme.
"Ich sagte: Wenn er nicht im Haus ist, habt ihr mich Bürgermeisterin zu nennen", faucht S.. Befriedigt hört sie, wie B.s Kiefer zuklappt.
"Sie sind es!" haucht B. erschrocken. S. hört, wie B. einen jämmerlichen Versuch startet, das Telefon mit der Hand abzudecken. Jedes Wort versteht sie. "Die Hexe ist noch im Turm!" Sie hört auch Schubladen zuklappen, schnelle Schritte, Türen, die sich schließen. Und einen leisen Ton, fast wie ein Weinen. Langgezogen, quälend. Draußen starten Autos, fahren mit kreischenden Reifen vom Parkplatz.
Mist, denkt sie, und: DoggyBags.
"Wie bitte?" kommt die weinende Stimme wieder an ihr Ohr. "Haben Sie DoggyBags gesagt?"
"Komm her. Sofort." befiehlt sie, ohne auf die Frage einzugehen.

B. steht hinter ihr. Er weint nicht mehr. Der Knebel tut seine Wirkung. Er muss stehen, damit sie hört, wenn er erstickt. Die meisten fallen kurz vorher besinnungslos um. Routine für sie. Sie seufzt und widmet sich wieder ihrem Katalog. Langsam fährt sie mit der Maus an den kleinen Kästchen vorbei. Jedes könnte sie anklicken, und automatisch würde der Drucker einen Scheck über die dort stehende Fördersumme ausdrucken, zweckgebunden natürlich. Aber sie musste vorsichtig sein.

Damals, das mit der Brücke, das war knapp. Hätte sie nicht diesen Politiker auf ihre Seite bekommen, indem sie die Brücke gelb streichen ließ - dabei hatte sie voller Zuversicht schon schwarz und rot gekauft sowie einige Quadratkilometer grünes Klebemoos. Und alle hatten sie im Stich gelassen. Bis auf diesen einen Kerl. Und selbst das war knapp, denn plötzlich kamen diese jungen Stümper mit einem Namenswettbewerb. Sie kreuzt die Finger und denkt dreimal Nur mühsam hatte sie ihn halten können, den Unterstützer. "Wir benennen die nächste Brücke nach Dir", hatte sie ihm angeboten, aber er winkte ab. Wollte nichts mehr damit zu tun haben. Als sie ihm in Aussicht stellte, dass der ausgebaute Flughafen nach ihm benannt würde und er den ersten Airbus A 310 einwinken durfte, gab er nach. Apropos. Flughafen. Sie musste sich unbedingt informieren, wie es um die Genehmigung stand.

Sie hatte es gefunden. Sie kiekste, klickte und lehnte sich zurück. Um sofort wieder nach vorn zu schnellen. Es piept dumpf und eine Warnmeldung erscheint auf dem Bildschirm. INFRASTRUKTUROVERLOAD steht da. "Verdammt", murmelt sie, "verdammt, verdammt, verdammt". Sie klickt auf Info. "Sie haben die maximale Anzahl Kreisverkehre in Ihrer Kommune erreicht. Bauen Sie eine Umgehungsstraße oder entfernen Sie eine Brücke um einen weiteren Kreisverkehr errichten zu können." Ein weiterer Klick und sie befindet sich wieder im Katalog. Sie sucht. Umgehungsstraße. Da war es. Und es war durchstrichen. Zur Zeit keine Fördermittel vorhanden. Die Brücke konnte sie nicht entfernen. ER hatte ihr verboten, sich jemals wieder mit Brücken zu befassen. Die Lücke in ihrem Gebiß hatte sie deshalb gar nicht erst behandeln lassen.

Sie sucht weiter. Irgendetwas musste doch ... "DoggyBag-Spender aus platiniertem Karbon, elektronisch versenkbar", liest sie und scrollt schnell weiter. Doggybag. Was war das nur mit diesen Doggybags? "Schwebebahn" liest sie weiter. Langweilig. Der Eintrag "Transrapid komplett, Streckenlänge 450 Meter" lässt sie kurz zögern. Damit könnte man fast eine Freizeitbahn rund um den See im Park ... Nein. Die Magnete würden den ganzen Unrat aus dem See ziehen. Brrr. B. plumpst irgendwie weinerlich auf den Boden. Sie wirft einen Blick über die Schulter und sieht, dass sich durch den Aufprall der Knebel gelockert hat. Speichelschaum fliesst aus seinem Mund und verunreinigt ihren Teppich. Sie ekelt sich und greift geistesabwesend nach einem Plan auf ihrem Tisch. "Technisches Rathaus" steht darauf. Sie überlegt kurz und setzt ihre Unterschrift darunter, wo "Genehmigt und angewiesen von" steht. Sie würde ihren neuen Teppich bekommen. Alles war gut.

Lesen Sie nächstes Mal: Krise im Dezernat - würde jemand merken, dass der veränderte Kreisverkehr weder Zu- noch Abfahrtmöglichkeit besitzt? Außerdem: Wie S. aus Versehen eine Autobahnauffahrt umgraben lässt.

Anmerkung: Dies ist Satire.

2 Kommentare:

Alf hat gesagt…

Anmerkung zur Relation: Natürlich handelt es sich dabei um die Gedanken der Protagonistin. :)

Anonym hat gesagt…

Jaja, eine Satire soll's ein... aber eine Realsatire, ooooder? ;-)

Und dieser Tage wurde mir von einem Urgestein in's Ohr geflüstert, daß all dem eigentlich gaaanz anders ist. Demnach würde in der Satire der Hinweis fehlen, daß die Hauptperson eigentlich nur eine Nebenrolle auf Anweisung spielt. Ganz nach dem alten Goethe in seinem Faust: Du glaubst zu schieben und wirst geschoben.

Vielleicht noch eine Anregung zum zweiten Teil? In Schiefbahn gibt's nun die größte Grundstückausfahrt in Willich: vom Parkplatz am alten Rathaus zur Niederstraße. Eine kleines Wäldchen wurde gerodet, eine Straße asphaltiert, eine 5stellige Summe verbaut und die Verkehrsströme verändert. Aber all dies ist ein Geschäft der laufenden Verwaltung am Souverän vorbei ...eben nur eine Grundstücksausfahrt.

Wir sehen uns Freitag?

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