Dienstag, Mai 10, 2005

Second Hand Life

Im Alter (und während man darauf wartet, dass der Reis kocht), kommen einem seltsame Gedanken. Man mag das mit Weisheit verwechseln. Ich glaube eher daran, dass es sich um die altersbedingte Verengung diverser Blutschläuche im Körper handelt. Die daraus resultierende mangelnde Sauerstoffversorgung wichtiger Hirnsegmente läßt einen glauben, man habe den Sinn des Lebens entdeckt. Schlimmer noch: Die einzig wahre Frage danach.

In mir jedenfalls reifte die folgende Erkenntnis. Eigentlich ist sie eher traurig. Andererseits ist es durchaus positiv zu bewerten, dass ich mir einbilde, eine Erkenntnis zu haben - aber schon vorher wusste, dass sie das Ergebnis altersbedingten Sauerstoffmangels ist. Es sei denn, die Erkenntnis, dass ich an altersbedingtem Sauerstoffmangel leide, ist schon eingebildet. Ich sehe, das führt zu weit.

Erkenntnis (möglicherweise Apnoe-bedingt)

Ich bin ein "Wiederholer". Ich weiß, dass ich durchaus zu realistischem Weltbild und zu realistischer Betrachtungsweise meines Lebens neige. Diesen Teil meines Bewußtseins aber scheint das noch nicht durchdrungen zu haben. Ich bin also ein "Wiederholer". Ich glaube daran (oder rede mir das ein), dass ich alles, was in meinem Leben passiert, wiederholen und anders machen kann. Ich kann das nicht ganz bis ins tiefste Detail begründen, wieso ich daran glaube, oder wie sich das bemerkbar macht. Ich rede mir ein, dass ich Melanie beim nächsten Mal anrufe und ihr sage, dass ich mich total aufs Essen freue, zu dem wir uns verabredet haben. Oder dass ich meinen zerschundenen Körper zu ihr schleppe, um zu verhindern, dass sie es tut. Ich rede mir ein, meine Mutter zum Kölner Dom zu fahren. Bei ihr wohnen zu bleiben, bis es vorbei ist. Ich rede mir ein, die Ärzte, die meinen Vater zu lange zu wenig versorgt haben, viel eher zu Aktion zu treiben. Ich rede mir ein, Rosi wirklich Morgens zu besuchen, und das nicht auf den nächsten Tag zu verschieben. Einerlei, dass ich wahrscheinlich schon längst wieder zu Hause gewesen wäre, als es passierte. Ich rede mir so vieles ein. Und ich weigere mich einfach zu glauben, dass ich das alles nicht tun könnte. Wieder und anders. Ich will also nicht weniger, als die Welt retten. Meine Welt. Die in den vergangenen Monaten so unglaublich aus den Fugen geriet. Ich rede mir ein, dass diese Teilnahmslosigkeit, die ich in mir selbst spüre, ihren Grund in der möglichen Rettung meiner Welt findet. Und nicht etwa, weil mich das traumatisiert hat.

Eine seltsame Wendung im Text. So klar und tief wollte ich das eigentlich nicht schreiben. Aber dass es nun so da steht, wird sicher ebenfalls seinen Grund haben. Apnoe, vielleicht.

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