Montag, Juni 13, 2005

Heute in Krefeld

Ein Unfall. Direkt vor unseren Nasen. Mitten in Krefeld. Eine Linksabbiegerin biegt links ab und nimmt einer Frau in einem schwarzen Golf die Vorfahrt. Ein heftiger Zusammenstoß. Ein viel zu lauter Knall. Im Golf plustern sich die Airbags auf, ich schalte den Motor aus, die Warnblinker ein und steige aus, als erster, als einziger, wie Inga später sagt, laufe zum Golf, in dem sich Qualm und Rauch bilden. Flüssigkeit tritt aus, die Fahrerin bewegt sich nicht, hält sich aber scheinbar den Kopf. Bevor ich die Tür öffne, werfe ich einen Blick zum anderen Auto, aus dem die Fahrerin gerade aussteigt, und hoffe, dass die vor mir sitzende Frau nicht allzu sehr blutet, weil ich spontan nicht weiß, was ich dann tun soll. Ich öffne langsam die Tür, versuche den Oberkörper der Frau aufzurichten. Das klappt, sie sieht mich verständnislos an, alles klar, sie blutet nicht sichtbar. Ich werfe einen Blick auf die Rückbank, weil ich sicher gehen will, dass da hinten niemand, ein Kind etwa, sitzt oder liegt. Alles gut soweit, niemand da. Ich will die Frau herausziehen, mittlerweile kommt ein anderer Mann und meint, wir sollten sie sitzen lassen, der Rauch käme vom Airbag. Ich streichle ihren Arm und murmele irgendetwas ruhiges, hoffentlich beruhigendes. Inga ruft indessen die Kavallerie, vielleicht drei andere Menschen stehen ein wenig hilflos herum. Die junge Frau im Golf kommt zu sich, ich sehe, dass die Verursacherin völlig allein an ihrem Auto steht und gehe rüber. Frage sie, ob ihr etwas fehlt, wie sie sich fühlt. Nicht gut, sagt sie und fragt nach der anderen Frau. Ich sage etwas abschwächendes, ich habe ja keine Ahnung. Die Frau sagt, dass sie abbiegen wollte und der LKW wäre so weit vorgezogen, sie hätte nichts sehen können. Ich frage noch mal, sage, dass ich den Eindruck habe, ihr ginge es gut, und der anderen würde gleich schnell geholfen, und sie sagt, dass ihr die Frau so Leid tue, nein, ihr selbst fehlt nichts. Polizei ist da, zufällig vorbeigekommen, kurze Zeit später, der Verkehr staut sich hier, auf einer stark befahrenen Straße ist das Ganze passiert, kurze Zeit später kommen drei weitere Streifenwagen, Rettungswagen, Feuerwehr und Notarzt tauchen ebenso schnell auf, die Situation ist unter Kontrolle und ich fühle mich überflüssig. Inga nimmt die Frau aus dem Golf in den Arm, man setzt sie jetzt doch auf den Bordstein. Meinetwegen. Flüssigkeit tropft aus dem Motorrraum des völlig zerknautschten Autos, die Feuerwehr schneidet den Motorraum des immer noch qualmenden Wagen auf. Beide Fahrzeuge werden wohl nicht mehr fahren. Nie wieder. Die junge Frau aus dem Golf weint plötzlich, schluchzt, beginnt wohl zu begreifen, was da gerade passiert ist. Ich kann nichts mehr tun außer abwarten und merke, dass ich wohl auch ziemlich angespannt bin/war, jedenfalls ist mir beim Anblick der weinenden Frau ebenfalls zum Heulen zumute, aber da gibt's Schlimmeres in mir. Ich atme einmal tief ein, alles okay. Will weg, will aber auch noch meine Angaben machen, für alle Fälle. Ein Polizist kommt, fragt mich, ich erkläre und er sagt: "Das ist ja schön einfach", lächelt, nimmt meine Adresse auf, den Namen und sagt, dass ich dann bald Post bekomme. Die Golf-Frau wird versorgt, die andere auch, Inga hat per Telefon mit dem Mann der Golf-Frau gesprochen, ihr fehlt wohl nichts ernsthaftes. Schmerzen wird sie heute Abend oder Morgen haben, wahrscheinlich wird ihr der Schädel brummen, aber sonst scheint alles okay zu sein. Inga hat nichts sehen können, sie hat in dem Moment, in dem der Unfall passierte, einen Block in meine neue Mappe eingefädelt. Wir fahren los. Den ganzen Tag über höre ich den Knall, das Quietschen.
Warum ich das hier aufschreibe und nicht in den dunklern Kellern meines Bewußtseins parke, liegt nicht etwa daran, dass darin schon viel zu viel los ist. "Das Herz eines Mannes ist ein steiniger Acker", hat Stephen King in "Friedhof der Kuscheltiere" geschrieben.
Nein. Ich denke auch nicht, dass ich ein Held bin, etwas Besonderes, ich kokettiere auch nicht damit, ich will kein Danke für etwas Selbstverständliches. → Ich habe ja schließlich nichts Besonderes getan. Ich bin nur nicht weitergefahren.

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